Die Münchner
Antikenmuseen – die Antikensammlungen und insbesondere Glyptothek – blicken auf
eine lange Serie von Ausstellungen zurück, in denen Arbeiten der Moderne und
der Gegenwart in eine Verbindung mit Werken der Antike gestellt werden. Bei der
im April 2017 eröffneten Ausstellung Divine Design. Das Kleid der Antike ist der Bezug auf griechische und römische
Kunst denkbar direkt. Zwei Gruppen von Studierenden der Akademie Mode &
Design (2 Männer und 24 Frauen: die Geschlechterpräferenzen sind eindeutig)
stellten sich die Aufgabe, Gestaltungsformen antiker Kleidung – und von
Nacktheit – als Ausgangspunkt und Anregung für eigene Arbeiten zu nehmen. So entstanden
zwei Modekollektionen, die erste mit dem Titel Greek reset, eine Serie freier, meist sehr assoziativer
Adaptationen antiker Skulpturen und einiger griechischer Vasen, die zweite,
etwas neckisch als Pleats please
bezeichnet, als Auseinandersetzung mit Faltenbildungen und Drapierungen.
Julia Wirleitner,
Hephaistos (Foto: Peter Schreiber BFF) |
Die Entwürfe von Greek reset, von dem Fotografen Peter
Schreiber in beeindruckender Weise in Szene gesetzt, ließen mehr Raum für
kreatives Arbeiten als die andere Serie (und haben mich aus diesem Grund mehr
angesprochen). Sie wirken aufgrund der großen Vielfalt der Schöpfungen
‚interessanter‘ und dabei, bei aller spielerischen Freiheit, die sich die
angehenden Modedesigner genommen haben, durchgehend doch auch als sehr
ernsthaft in der Beschäftigung mit den Werken der Antike. Manche eher
konventionellen Entwürfe sprechen das Auge unter Umständen deshalb an, weil sie
an vertraute Seherfahrungen anschließen (Pia Vollkommer: Amphore), andere Schöpfungen scheinen im ersten Augenblick weit weg
zu sein von der Antike, stellen tatsächlich aber sehr eigenständige
Verarbeitungen der Anregungen dar. Wenn sich Julia Wirleitner für ihre Kreation
(Hephaistos) als Referenzobjekt die –
nackte! – Statue des sog. Münchner Königs genommen hat, um ein
hochgeschlossenes enges Kleid zu entwerfen, das mit einer vielgliedrigen
Komposition aus Metallbändern versehen ist, dann wird auf elegante Weise ein
doppelter Kontrast geschaffen, zwischen der Haut des Models und dem sich
darüber legenden Gewand sowie zwischen dem weichen Stoff und dem harten Metall.
Natürlich hängt die Messlatte für die studentischen Entwürfe sehr hoch. Viele
große Modedesigner der letzten hundert Jahre und darüber hinaus haben sich
intensiv mit Gewandideen und allgemeiner noch mit dem Schönheitsideal der
Antike auseinandergesetzt, und die vielbeachtete New Yorker Ausstellung Goddess. The Classical Mode hat 2003
dieses Potential einem breiten Publikum sichtbar gemacht. An diese Schau knüpft
man in München nicht nur mit dem Ausstellungstitel an.
Aber haben sich die
Archäologen, die den zweiten, den wissenschaftlichen Teil der Ausstellung
bestreiten, bei der Auseinandersetzung mit dem „Kleid der Antike“ von der
Kreativität der Studierenden anstecken lassen? Die Antwort ist ein fast
uneingeschränktes Nein. Von den dreizehn Texten des Katalogs sind nicht weniger
als neun dem gewidmet, was in der Forschung zur griechischen Kleidung seit jeher
als zentrale Aufgabe gilt: möglichst gute Sachkenntnis über Formen, Verwendung
und Herstellung zu gewinnen. Nach dem Muster inzwischen schon zahlreicher
Münchner Ausstellungen werden dafür sehr geschickt praktisch ausschließlich die
Bestände der beiden Museen genutzt. Diese bewährte Art der Aktualisierung der
eigenen Sammlung bringt allerdings auch eine massive Begrenzung mit sich: Um
eine Geschichte der griechischen Kleidung zu skizzieren oder um herausragende
gestalterische Phänomene zu beschreiben, wären auch viele Werke außerhalb des Münchner
Bestands heranzuziehen gewesen. Eben damit ist jedoch ein kritischer Punkt
berührt, denn über die Taxonomie, die systematische Sichtung und souveräne Ordnung
des Wissensbestandes, wollte man offenbar nicht hinausgehen. Die sinnliche
Qualität griechischer Kleidung mit allen Facetten, die zu diesem Thema gehören,
bleibt in der wissenschaftlichen Bearbeitung fast völlig ausgespart, so dass
sich die Texte über weite Strecken wie eine aktualisierte und durch die reiche
Bebilderung sehr anschauliche Fassung des Buches von Anastasia Pekridou-Gorecki
von 1989 lesen. Das ist willkommen und nützlich, aber kein Schritt auf neues
Terrain.
Von den
verbleibenden vier Texten verdienen drei eine eigene Würdigung. Ekkehart
Baumgartner, Professor für Marketing, Kommunikation und Markenmanagement, lässt
sich als einziger unter allen Autoren auf eine intensive ästhetische Würdigung
eines antiken Werkes ein, des Grabreliefs für Mnesarete, ist dabei, da er sich
weitgehend seinen subjektiven Eindrücken überlässt, allerdings entschieden mehr
Poet als Wissenschaftler. Der Kunsthistoriker Philipp Zitzlsperger stellt den
Realitätsgehalt antiker Kleidungsdarstellungen pauschal infrage, eine
überzogene, nicht von guter Sachkenntnis geleitete Position, die von den
übrigen Katalogautoren dann auch ignoriert wird. Von der Klassischen
Archäologin Natascha Sojc konnte man erwarten, dass sie sich intensiv mit der
gestalterischen Vielfalt griechischer Kleidung auseinandersetzt, zumal ihr
Beitrag im Titel die Frage stellt „Mode, in der Antike?“ Doch auch sie geht nur
wenig über Pekridou-Gorecki hinaus, die ihrer Monografie zwar den Titel Mode im antiken Griechenland gegeben hat,
das Hauptstichwort ihres Buchtitels aber fast völlig übergeht. Sojc erkennt Freiräume
der Gestaltung und verbindet diese nachdrücklich mit dem vagen Stichwort der
„Selbstinszenierung“. Doch unklar bleibt dabei schon, ob sie die Freiräume den
Frauen als Akteurinnen des sozialen Lebens mit ihrer tatsächlich getragenen
Kleidung zuschreibt oder doch eher der Meta-Ebene der künstlerischen
Darstellung. Die Unbestimmtheit setzt sich in der Sprachform fort, wenn sie die
beschriebenen Phänomene zwar explizit nicht „als Mode im Sinne unseres heutigen
… Begriffs“ bezeichnen möchte, gleichwohl aber ohne nähere Reflexion Termini
wie „modisch“ oder „das Modische“ verwendet (wie auch Astrid Fendt in einem
Beitrag von „modischen Elementen …, die sich innerhalb kurzer Zeit veränderten“
spricht). In unserem Buch Helenas
Töchter. Frauen und Mode im frühen Griechenland von 2015, das Sojc
übergeht, sind Sina Tauchert und ich diesem Aspekt der Kleidung als
ästhetischem Phänomen wie den Möglichkeiten der Anknüpfung an gesellschaftliche
Gegebenheiten intensiv nachgegangen. Manches davon findet sich in vereinfachter
Form und ohne klare Referenz im Katalog wieder.
„Inspiration zum
Dialog“ ist der erste Teil des Katalogs treffend überschrieben, bestand doch
die zentrale Idee der ganzen Unternehmung darin, einen Dialog über einen sehr
gegenwärtigen Gegenstand zwischen dem Heute und einer weit zurückliegenden
Epoche anzustoßen. Aber warum hat die Inspiration trotz der ungewöhnlich
günstigen Ausgangslage die Wissenschaftler nicht erreicht?
Der griechischen
Kunst und insbesondere der Plastik eine besondere Schönheit zuzuschreiben,
gehörte seit der Entstehung des Klassischen Archäologie im 18. Jahrhundert
zu den Grundannahmen nicht nur der populären, sondern auch der
wissenschaftlichen Beschäftigung. Eine lange Reihe von Publikationen, die mit
großem sprachlichem Aufwand die formale Qualität nachzuschöpfen versuchen,
zeugt vom Bemühen um die gelehrte Annäherung an die am Ende nicht
objektivierbare Kategorie der Schönheit. Mit der sozialgeschichtlichen Wende
seit den 1960er Jahren ist das Interesse an der Auseinandersetzung mit der
sinnlichen Seite des Gegenstands weitestgehend verloren gegangen und traten
andere Perspektiven in den Vordergrund. Bis heute erweist sich ein breites
Spektrum an soziologischen Fragen (Rollenbilder, Statusfragen, Gender) als
ergiebiges Aufgabenfeld. Diesem Trend folgen auch mehrere Beiträge im Katalog
der Münchner Ausstellung, ebenso wie Mireille Lee in ihrer kürzlich
erschienenen Monografie Dress, Body, and
Identity in Ancient Greece (New York 2015).
Metope aus dem Heraion
am Sele bei Poseidonia-Paestum (Foto: DAI Rom) |
Vielleicht ist es
als Zeichen einer gewissen Sättigung mit immer differenzierterer
Bestandssicherung und fortschreitender soziologischer Analyse zu werten, wenn
sich neuerdings Impulse regen, eine veritable Archäologie der Sinne zu entwickeln.
Im angelsächsischen Sprachraum ist Sensory
Archaeology bereits zu einem Schlagwort geworden, und eine Reihe von
Publikationen zeugt davon, dass dieses Feld beginnt, sich ins Zentrum der
archäologischen Disziplinen hinein zu erstrecken, siehe u.a. Jo Day (Hrsg.),
Making Senses of the Past. Toward a sensory archaeology (Carbondale
2013); Y. Hamilakis, Archaeology and the Senses. Human Experience, Memory, and
Affect (Cambridge 2014); M. Squire (Hrsg.), Sight and the Ancient Senses
(London 2016). Ob der Funke auch
auf die deutsche Klassische Archäologie überspringt, muss sich noch zeigen.
Vermutlich ist es auch nicht glücklich, gleich eine neue „Archäologie“
auszurufen, die am Ende wie die „Bildwissenschaft“ ein so weites Gebiet
umfasst, dass die dort Aktiven kaum zu gemeinsamen Themen und gemeinsamer
Sprache finden. Die Berechtigung einer neuen Perspektive, die versucht,
möglichst umfassend Sinneswahrnehmungen zu erfassen, steht meines Erachtens
aber außer Frage, und gerade die griechische Kleidung könnte dafür ein guter
Testfall sein. Es handelt sich um ein komplexes sinnliches Phänomen und für
seine Erforschung steht eine weite Spanne an Zeugnissen zur Verfügung. Jenseits
der Realienerschließung geht es, ausgehend von den archäologischen Quellen, etwa
um das Zusammenspiel der Oberflächen von Körper und Textilien, um die Spannung
zwischen den Texturen der Gewänder, um die Kombination mit Accessoires aus
unterschiedlichen Materialien wie Stoff und Metall und um das Zusammenspiel der
Kleidung mit Frisuren, um Sinneseindrücke des bekleideten Körpers in Bewegung.
Die schriftlichen Zeugnisse erlauben, weitere Bereiche sinnlicher Wahrnehmung
hinzuzunehmen, die bei festlichen Anlässen gespielte Musik und auch die Düfte,
die mit Menschen und Orten verbunden waren, dies alles zudem verknüpft mit der
Dimension der historischen Veränderung, die man im Einzelfall „Mode“ nennen
kann. Der scheinbare Nachteil, dass solche Forschung nicht ohne ein evidentes
Maß an Spekulation auskommt, wird leicht ausgeglichen durch ihr
anthropologisches Potential: Die Parallelen zu unserer eigenen Erlebniswelt
sind ebenfalls evident, die Unterschiede in der antiken Praxis festzustellen
wäre eine schöne Herausforderung.